Arbeitsrecht & Jobwechsel

Zeugnis richtig lesen und die versteckten Botschaften erkennen

Ein Arbeitszeugnis ist oft mehr als nur eine Zusammenfassung beruflicher Stationen. Es ist ein Dokument in einer eigenen, speziellen Sprache. Wer diese Sprache nicht kennt, übersieht leicht die feinen, aber entscheidenden Nuancen, die über den nächsten Karriereschritt mitentscheiden können. Zu wissen, wie man ein Zeugnis richtig lesen kann, ist deshalb eine Fähigkeit, die im Berufsleben einen echten Unterschied macht.

Das Wichtigste in Kürze

  • Arbeitszeugnis: Nicht nur Zusammenfassung beruflicher Stationen, sondern Dokument in spezieller Codesprache.
  • Formulierung: „Wahr“ und „wohlwollend“ laut Gesetz, was zu eigenen Kommunikationsformen führt.
  • Struktur: Einleitung, Unternehmensbeschreibung, Tätigkeitsbeschreibung, Leistungs- und Verhaltensbeurteilung, Schlussformel.
  • Geheime Codes: Wörter und Reihenfolgen, die subtile Signale senden, z.B. „stets zur vollsten Zufriedenheit“ als Bestnote.
  • Reaktion bei Unklarheit: Konstruktives Gespräch führen und schriftlich Änderungswünsche mit Fakten untermauern.
  • Wert des Zeugnisses: Wichtige Momentaufnahme, aber nicht die ganze Geschichte der beruflichen Erfahrung.

Das Gefühl, auf ein Stück Papier reduziert zu werden

Neulich saß eine gute Freundin bei mir in der Küche, den Blick auf ein einzelnes Blatt Papier geheftet, das vor ihr auf dem Eichentisch lag. Es war ihr frisch ausgestelltes Arbeitszeugnis nach fünf Jahren in einer Firma, die sie wirklich gemocht hatte. „Irgendwie komisch“, sagte sie und schob es zu mir herüber. „Fünf Jahre, hunderte Projekte, tausende Gespräche, und das ist es, was bleibt.“ Ich glaube, genau dieses Gefühl kennen viele. Man hält ein Dokument in den Händen, das formal korrekt und auf den ersten Blick positiv wirkt, und doch schwingt da eine seltsame Distanz mit.

Die Formulierungen sind höflich, aber seltsam steif. Man liest Sätze über sich selbst, die man so nie sagen würde. Das liegt daran, dass Arbeitszeugnisse einer strengen Logik folgen. Sie müssen laut Gesetz „wahr“ und „wohlwollend“ sein. Diese beiden Anforderungen haben eine ganz eigene Form der Kommunikation hervorgebracht, eine Art Code. Wer ein Zeugnis richtig lesen will, muss diesen Code kennen. Es geht nicht darum, hinter jeder Formulierung eine böse Absicht zu vermuten. Vielmehr geht es darum, die Systematik zu erkennen und einzuordnen, was wirklich gesagt wird – und was eben nicht.

Die Anatomie eines Arbeitszeugnisses: Ein Blick auf den Aufbau

Jedes qualifizierte Arbeitszeugnis folgt einem recht ähnlichen Schema. Das ist kein Zufall, sondern hat sich über Jahrzehnte so etabliert, weil es Personalern eine schnelle Orientierung ermöglicht. Die einzelnen Bausteine sind wie die Kapitel in einer Geschichte – und ihre Reihenfolge ist nicht beliebig. Eine Abweichung vom Standard kann bereits ein erstes, subtiles Signal sein.

Ein typisches Zeugnis gliedert sich so: Zuerst kommen die Einleitung mit den persönlichen Daten und der Dauer der Anstellung, dann eine kurze Beschreibung des Unternehmens. Darauf folgt der wohl wichtigste Teil für die fachliche Einordnung: die detaillierte Beschreibung deiner Aufgaben. Erst danach kommt die eigentliche Leistungs- und Verhaltensbeurteilung. Den Abschluss bildet die berühmte Schlussformel mit Dank, Bedauern und Zukunftswünschen. Wenn diese Struktur durcheinandergerät, zum Beispiel das Verhalten vor der Leistung bewertet wird, ist das ein erstes Zeichen, genauer hinzusehen. Es könnte bedeuten, dass das Sozialverhalten als problematischer oder zumindest bemerkenswerter eingestuft wurde als die fachliche Leistung.

Die Tätigkeitsbeschreibung: Mehr als eine reine Auflistung

Viele überfliegen diesen Teil, weil sie ja wissen, was sie getan haben. Doch genau hier verbirgt sich oft eine erste, wichtige Botschaft. Eine gute Tätigkeitsbeschreibung ist ausführlich, präzise und spiegelt die tatsächliche Verantwortung wider. Sie listet nicht nur passive Tätigkeiten auf, sondern betont aktive Verantwortungsbereiche und vielleicht sogar besondere Projekte oder Erfolge. Die Aufgaben sollten zudem in einer logischen Reihenfolge stehen, idealerweise beginnend mit den wichtigsten und verantwortungsvollsten.

Ein Warnsignal ist eine sehr knappe, lückenhafte oder übermäßig allgemeine Beschreibung. Wenn du beispielsweise ein Team geleitet hast, dies aber nur mit „Mitarbeiterkoordination“ umschrieben wird, ist das eine Herabstufung. Fehlen wichtige Kernaufgaben komplett, ist das fast immer ein negatives Zeichen. Es ist, als würde man die wichtigsten Erfolge eines Sportlers in seiner Biografie einfach weglassen. Das Fehlen von Information, das sogenannte „beredte Schweigen“, ist eine der subtilsten, aber wirkungsvollsten Techniken in der Zeugnissprache.

Die Leistungsbeurteilung: Wo die Sprache ihre Geheimnisse enthüllt

Hier sind wir im Maschinenraum des Zeugnisses. Die Bewertung der Leistung wird fast nie in Schulnoten ausgedrückt, sondern durch eine Kombination aus Adverbien, Superlativen und der Reihenfolge der Aussagen. Die bekannte Abstufung von „stets zur vollsten Zufriedenheit“ (Note 1) bis zu „er hat sich bemüht“ (Note 5 oder 6) ist nur die Spitze des Eisbergs.

Achte auf die kleinen Wörter, die den Unterschied machen. „Stets“, „jederzeit“ und „immer“ signalisieren eine durchgehend hohe Leistung. Wörter wie „im Großen und Ganzen“ oder „in der Regel“ relativieren das Lob sofort und deuten auf gelegentliche Schwächen hin. Auch die Vollständigkeit der Beurteilung ist entscheidend. Eine sehr gute Leistungsbeurteilung umfasst mehrere Dimensionen:

  • Arbeitsbereitschaft (Wollen): Hier geht es um Motivation und Eigeninitiative. Formulierungen wie „zeigte stets ein außerordentliches Maß an Eigeninitiative“ sind hier Gold wert.
  • Arbeitsbefähigung (Können): Bewertet werden Fachwissen und dessen Anwendung. Ein Satz wie „verfügt über ein hervorragendes und jederzeit abrufbares Fachwissen“ ist ein klares Signal für Exzellenz.
  • Arbeitsweise (Wie): Beschreibt die Effizienz, Sorgfalt und Selbstständigkeit. „Ihre Arbeitsweise war stets von höchster Effizienz und Genauigkeit geprägt.“
  • Arbeitserfolg (Ergebnis): Hier wird die Qualität und Quantität der Arbeitsergebnisse beurteilt. Ein Superlativ wie „erzielte durchweg herausragende Arbeitsergebnisse“ ist das Ziel.

Fehlt einer dieser Bausteine, kann das eine bewusste Auslassung sein. Wer zum Beispiel sehr motiviert ist (Arbeitsbereitschaft), aber keine guten Ergebnisse liefert (Arbeitserfolg), ist für ein Unternehmen langfristig keine Bereicherung. Deshalb ist eine vollständige und durchweg positive Beschreibung aller vier Bereiche so wichtig.

Die verräterische Passivform

Eine weitere subtile Methode der Abwertung ist die Verwendung von Passivsätzen in der Tätigkeitsbeschreibung. Heißt es „Ihm wurden die Aufgaben X und Y übertragen“, klingt das anders als „Er verantwortete die Bereiche X und Y“. Die aktive Formulierung unterstreicht Initiative und Verantwortung, während die passive eher eine ausführende, weniger gestaltende Rolle suggeriert.

Das Sozialverhalten: Ein Blick auf den Umgang mit anderen

Nach der Leistung kommt das Verhalten. Und auch hier ist die Reihenfolge der genannten Personengruppen entscheidend. Die korrekte und positive Reihenfolge ist immer: Vorgesetzte, Kollegen und externe Partner wie Kunden. Lautet die Formulierung „Sein Verhalten gegenüber Kollegen, Kunden und Vorgesetzten war stets einwandfrei“, ist das ein Problem. Die nachgestellte Nennung der Vorgesetzten deutet auf Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der Führungsebene hin.

Eine tadellose Beschreibung des Sozialverhaltens lautet zum Beispiel: „Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden war jederzeit vorbildlich.“ Das Wort „vorbildlich“ ist hier die Entsprechung zur Note 1. „Stets einwandfrei“ oder „jederzeit tadellos“ entsprechen einer guten Note 2. Formulierungen wie „Er war bei seinen Kollegen beliebt“ können ironisch gemeint sein, wenn sie isoliert stehen – etwa als Hinweis auf zu viel Plauderei und zu wenig Arbeit. Im Kontext einer sonst guten Beurteilung ist es aber eine nette Ergänzung.

Die Schlussformel: Der letzte Eindruck zählt

Der letzte Absatz des Zeugnisses ist oft der ehrlichste. Während der Rest des Dokuments rechtlichen Zwängen unterliegt, ist die Schlussformel freiwillig. Ein Arbeitgeber, der einen Mitarbeiter wirklich schätzt, wird hier die Gelegenheit nutzen, dies auch auszudrücken. Fehlt dieser Absatz komplett, ist das ein sehr schlechtes Zeichen. Es ist, als würde man eine Verabschiedung ohne Händedruck und ohne ein „Alles Gute“ beenden.

Eine vollständige und sehr gute Schlussformel besteht aus drei Teilen:

  1. Dank: Ein Ausdruck des Dankes für die geleistete Arbeit. („Wir danken ihr für die stets exzellenten Leistungen.“)
  2. Bedauern: Die Aussage, dass das Unternehmen den Weggang bedauert. („Wir bedauern ihr Ausscheiden außerordentlich.“)
  3. Zukunftswünsche: Positive Wünsche für die berufliche und private Zukunft. („Für ihre berufliche und private Zukunft wünschen wir ihr weiterhin viel Erfolg und alles Gute.“)

Je nachdem, wie diese Elemente formuliert sind oder ob sie fehlen, ändert sich die Gesamtnote des Zeugnisses dramatisch. Eine Standardfloskel wie „Wir wünschen für die Zukunft alles Gute“ ohne Dank und Bedauern ist bestenfalls ausreichend. Hier eine kleine Gegenüberstellung, wie unterschiedlich die Botschaft sein kann:

Note Beispielhafte Formulierung
Sehr gut (1) Wir danken ihm für die stets hervorragende Zusammenarbeit und bedauern sein Ausscheiden außerordentlich. Für seine berufliche und private Zukunft wünschen wir ihm weiterhin viel Erfolg und persönlich alles Gute.
Gut (2) Wir danken für die guten Leistungen und bedauern das Ausscheiden. Für die Zukunft wünschen wir weiterhin viel Erfolg.
Befriedigend (3) Wir danken für die Zusammenarbeit und wünschen für die Zukunft alles Gute. (Das Bedauern fehlt bereits.)
Ausreichend (4) Wir wünschen für die weitere berufliche Zukunft alles Gute. (Kein Dank, kein Bedauern, der Erfolg wird nicht mehr explizit gewünscht.)
Mangelhaft (5) Er verlässt uns auf eigenen Wunsch. (Der komplette Schlusssatz fehlt.)

Wenn das Zeugnis nicht passt: Wie du reagieren solltest

Manchmal liest man sein Zeugnis und das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, wird zur Gewissheit. Vielleicht sind Aufgaben nicht erwähnt, die Bewertung erscheint unfair oder die Schlussformel ist eiskalt. In einem solchen Fall hast du das Recht, eine Korrektur zu verlangen. Aber wie geht man am besten vor?

Der erste Schritt sollte immer ein ruhiges Gespräch sein. Geh nicht mit dem Vorwurf „Mein Zeugnis ist schlecht!“ in die Personalabteilung oder zum ehemaligen Chef. Formuliere es konstruktiv. Sag zum Beispiel: „Ich habe mir das Zeugnis durchgelesen und mir ist aufgefallen, dass wichtige Projekte, die ich betreut habe, nicht erwähnt sind. Wäre es möglich, das noch zu ergänzen?“ Oft sind es keine bösen Absichten, sondern schlicht Unachtsamkeit oder Unwissenheit aufseiten des Erstellers. Eine freundliche Bitte führt oft schneller zum Ziel als ein fordernder Ton.

Sollte das Gespräch nicht fruchten, formuliere deine Änderungswünsche schriftlich. Sei dabei so konkret wie möglich. Liste die Passagen auf, die du als nicht korrekt empfindest, und mache konkrete Vorschläge für eine neue Formulierung. Beziehe dich dabei auf die Fakten. Wenn zum Beispiel deine Erfolge messbar sind, nenne die Zahlen. Wenn du mit deiner Schlussformel unzufrieden bist, kannst du auch einen Gegenvorschlag formulieren, der den gängigen Standards entspricht. Dieser schriftliche Weg ist auch wichtig für eine eventuelle spätere rechtliche Auseinandersetzung. Denn nur wenn auch das nichts bringt, bleibt der Weg zu einem Anwalt für Arbeitsrecht, der dann deine Ansprüche prüft und durchsetzt.

Fristen für die Korrektur

Es gibt keine gesetzlich festgelegte Frist, innerhalb derer du ein Zeugnis korrigieren lassen musst. Die Rechtsprechung geht aber von einem Zeitraum von etwa sechs bis maximal 15 Monaten nach Erhalt aus. Danach kann der Anspruch auf Korrektur verwirkt sein. Es ist also ratsam, zeitnah nach Erhalt des Zeugnisses zu handeln, wenn du Unstimmigkeiten feststellst.

Ein letzter Gedanke zum Wert des Papiers

Nachdem meine Freundin und ich ihr Zeugnis an jenem Nachmittag gemeinsam durchgegangen waren, fühlte sie sich schon viel klarer. Wir hatten ein paar Punkte identifiziert, bei denen sie um eine kleine Anpassung bitten wollte – vor allem in der Tätigkeitsbeschreibung. Das Zeugnis war insgesamt gut, aber eben nicht sehr gut, was sie ein wenig enttäuschte.

Am Ende haben wir aber auch darüber gesprochen, was so ein Dokument wirklich aussagt. Es ist eine formale Momentaufnahme aus der Perspektive eines Unternehmens. Es ist wichtig, keine Frage. Aber es ist nicht die ganze Geschichte. Es erzählt nichts über die lustigen Momente in der Kaffeeküche, die gegenseitige Unterstützung im Team bei einem schwierigen Projekt oder die persönliche Entwicklung, die man in dieser Zeit durchgemacht hat. Diese Dinge nimmt man mit, ganz ohne Papier. Ein gutes Zeugnis öffnet Türen für neue Gespräche. Und in diesen Gesprächen hat man dann die Chance, die ganze, lebendige Geschichte hinter den formalen Sätzen zu erzählen.

FAQs zum Thema Zeugnis richtig lesen

Wann ist ein Zwischenzeugnis sinnvoll und habe ich einen Anspruch darauf?

Ein Zwischenzeugnis ist besonders dann eine gute Idee, wenn sich in deinem Arbeitsverhältnis etwas Gravierendes ändert. Das kann ein Wechsel deines Vorgesetzten sein, eine Versetzung in eine andere Abteilung oder auch eine längere Auszeit wie die Elternzeit. Es dient als eine Art Leistungsnachweis zum Stichtag. Einen gesetzlichen Anspruch hast du immer dann, wenn du ein „berechtigtes Interesse“ nachweisen kannst – genau das ist bei den genannten Gründen der Fall.

Spielt es eine Rolle, wer das Arbeitszeugnis unterschrieben hat?

Ja, die Unterschrift ist ein oft übersehenes, aber wichtiges Detail. Grundsätzlich sollte die Person, die das Zeugnis unterschreibt, in der Hierarchie über dir stehen. Ideal ist die Unterschrift deines direkten Vorgesetzten zusammen mit jemandem aus der Personalabteilung oder der Geschäftsführung. Eine Unterschrift von einer rangniedrigeren oder nicht weisungsbefugten Person kann das Zeugnis entwerten, da es Zweifel an der Kompetenz des Beurteilers oder der Wertschätzung dir gegenüber aufkommen lässt.

Gibt es neben den bekannten Abstufungen noch andere, wirklich negative Geheimcodes?

Ja, es gibt einige Formulierungen, die zwar neutral klingen, aber gezielt negative Botschaften senden. Achte zum Beispiel auf Sätze wie „Er trug durch seine Geselligkeit zur Verbesserung des Betriebsklimas bei“ – das kann ein Hinweis auf übermäßigen Alkoholkonsum oder Geschwätzigkeit sein. Auch die Formulierung „Er zeigte für seine Arbeit Verständnis“ ist verräterisch, denn sie impliziert, dass du zwar verstanden hast, was zu tun ist, es aber nicht umgesetzt hast. Solche Codes sind seltener geworden, tauchen aber immer noch auf.

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