Endlich frei, die Koffer sind gepackt, die Abwesenheitsnotiz ist an – und pünktlich zum ersten Urlaubstag kratzt der Hals. Wenn dir das bekannt vorkommt, bildest du dir das nicht ein. Dieses Phänomen hat einen Namen: Leisure Sickness.
Der erste Urlaubstag: Begrüßungskomitee der Viren
Die letzte Arbeitswoche war ein Marathon. E-Mails im Minutentakt, Übergaben, das eine Projekt, das unbedingt noch fertig werden musste. Du hast es geschafft. Freitagabend fällt die Tür ins Schloss und mit ihr der ganze Druck der letzten Wochen. Samstagmorgen, die Sonne scheint, der erste Kaffee auf dem Balkon schmeckt nach Freiheit. Doch irgendetwas ist komisch. Ein leichtes Ziehen im Nacken, ein Kribbeln in der Nase. Am Sonntag ist es dann Gewissheit: Du liegst mit Fieber, Kopfschmerzen und einer laufenden Nase flach, während dein Partner den Mietwagen für den Roadtrip abholt.
Das ist keine Ironie des Schicksals und auch kein Pech. Es ist ein Muster, das erstaunlich viele Menschen betrifft und für das es einen wissenschaftlichen Begriff gibt.
Auf einen Blick: Inhalt & TL;DR
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste in Kürze
- Leisure Sickness: Zustand, in dem Menschen während Urlaub oder Wochenenden krank werden.
- Stresshormone: Adrenalin und Cortisol halten Immunsystem in Hochspannung, bis Ruhephasen einsetzen.
- Typische Symptome: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Übelkeit, Infekte.
- Prävention: Bewusste Übergangsphasen, schrittweise Arbeitsreduktion und sanfte Bewegung.
- Echte Entspannung: Bedeutet oft bewusstes Nichtstun und unstrukturierte Momente.
- Abklärung: Ständige Erschöpfung kann weitere gesundheitliche Probleme anzeigen.
Was genau ist diese Leisure Sickness?
Der Begriff wurde vom niederländischen Psychologen Ad Vingerhoets geprägt. Er beschreibt den Zustand, in dem Menschen genau dann krank werden, wenn sie Zeit zur Erholung hätten – also am Wochenende oder im Urlaub.[1] Das ist keine Einbildung oder Hypochondrie. Es ist eine nachvollziehbare Reaktion deines Körpers auf den plötzlichen Wechsel von Hochspannung zu Ruhe.
Studien zeigen, dass etwa 3 % der Menschen regelmäßig darunter leiden. Die häufigsten Symptome sind dabei nicht nur Erkältungen. Viele berichten von einem ganzen Cocktail an Beschwerden, der ihnen die schönste Zeit des Jahres verhagelt.
Hier eine Übersicht der typischen Anzeichen für Leisure Sickness:
- Kopfschmerzen oder Migräne
- Extreme Müdigkeit und Abgeschlagenheit
- Muskelschmerzen am ganzen Körper
- Übelkeit und Magen-Darm-Probleme
- Virale Infekte wie Grippe oder Erkältungen
Das perfide daran ist, dass du dich die ganze Zeit auf die freie Zeit gefreut hast und dein Körper genau dann beschließt, in den Streik zu treten. Der Grund dafür liegt tief in unserer Biologie verborgen.
Dein Körper im Stress-Tunnel: Der Adrenalin-Effekt
Um zu verstehen, warum du ausgerechnet im Urlaub krank wirst, müssen wir über Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin sprechen. Unter Hochdruck schüttet dein Körper diese Stoffe aus. Sie machen dich leistungsfähig, schärfen deine Sinne und unterdrücken Entzündungsreaktionen. Dein Immunsystem läuft quasi auf Notstrom, um dich durch die anstrengende Phase zu bringen – eine Erkältung kann es sich gerade nicht leisten.[2] Fällt der Stress dann schlagartig ab, sinkt auch der Cortisolspiegel. Das ist wie ein Dammbruch: Das Immunsystem, das wochenlang unterdrückt wurde, fährt wieder hoch und reagiert manchmal sogar über. Krankheitserreger, die schon länger in deinem Körper schlummerten, haben jetzt freie Bahn.
Die Falle des abrupten Stopps bei Leisure Sickness
Ich kenne das von mir selbst nur zu gut. Früher war mein Credo: bis zur letzten Minute vor dem Urlaub alles geben. Ich habe einmal eine riesige Projektpräsentation am Freitag um 16 Uhr gehalten und saß um 19 Uhr im Flieger nach Portugal. Ich war stolz auf meine Effizienz. Die Quittung kam prompt. Den ersten Tag am Meer verbrachte ich zitternd unter drei Decken im Hotelzimmer. Mein großer Fehler war, meinem Körper keine Übergangsphase zu gönnen. Ich bin von 180 auf null gegangen.
Dieses „Alles-oder-nichts-Denken“ ist ein riesiger Risikofaktor für die Leisure Sickness. Gerade Menschen, die im Job sehr engagiert sind, ein hohes Verantwortungsgefühl haben und schlecht loslassen können, sind besonders anfällig. Der Körper und der Geist sind so an den permanenten Alarmzustand gewöhnt, dass sie mit der plötzlichen Stille nichts anfangen können. Der Organismus weiß nicht, wohin mit der ganzen aufgestauten Energie und reagiert mit Krankheitssymptomen.
Dein Fahrplan für einen gesunden Urlaubsstart
Die gute Nachricht ist: Du bist der Leisure Sickness nicht hilflos ausgeliefert. Mit ein paar bewussten Anpassungen vor und während der ersten freien Tage kannst du deinem Körper helfen, sanft in den Erholungsmodus zu gleiten. Es geht darum, eine Brücke zu bauen, anstatt von einer Klippe zu springen.
So gelingt dir der Übergang:
- Schaffe Puffer-Tage: Das ist der wichtigste Schritt überhaupt. Plane deinen Urlaub so, dass du mindestens einen, besser zwei Tage zu Hause hast, bevor die eigentliche Reise losgeht. Nutze diese Zeit, um in Ruhe zu packen, die Wohnung aufzuräumen und mental anzukommen.
- Reduziere die Arbeitslast schrittweise: Versuche, die letzte Arbeitswoche bewusst zu entzerren. Schiebe keine wichtigen Deadlines auf den letzten Tag. Halte dir den letzten Nachmittag frei von Meetings, um lose Enden zu verknüpfen und deinen Schreibtisch aufgeräumt zu hinterlassen.
- Beginne die Entspannung schon vorher: Starte nicht erst am Urlaubsort mit der Erholung. Mache in den letzten Tagen vor dem Urlaub ganz bewusst Dinge, die dir guttun. Ein Spaziergang nach der Arbeit, ein entspanntes Bad oder ein Abend ohne Bildschirm können deinem Nervensystem signalisieren, dass es langsam herunterschalten darf.
- Bleibe in sanfter Bewegung: Auf dem Sofa zu kollabieren, klingt verlockend, ist aber oft kontraproduktiv. Sanfte Bewegung wie Yoga, Radfahren oder Schwimmen hilft dem Körper, Stresshormone kontrolliert abzubauen und das Immunsystem zu stabilisieren.
- Setze realistische Erwartungen: Der Urlaub muss nicht vom ersten Moment an perfekt sein. Es ist okay, wenn du ein, zwei Tage brauchst, um wirklich abzuschalten. Gib dir selbst die Erlaubnis, langsam im Urlaubsmodus anzukommen, ohne sofort das volle Touri-Programm abspulen zu müssen.
Diese Strategie hilft dir, den Übergang so zu gestalten, dass dein Körper nicht mit einem Schock reagiert, sondern sich langsam an das neue, niedrigere Stresslevel gewöhnen kann.
Die vergessene Kunst der echten Entspannung
In unserer modernen Welt haben wir oft verlernt, was echte Entspannung eigentlich bedeutet. Selbst in der Freizeit jagen wir von einem Erlebnis zum nächsten, optimieren unsere Hobbys und füllen jede freie Minute mit Inhalten. Wir glauben, Erholung sei etwas, das man aktiv „machen“ muss – wie ein Projekt, das auf einer To-do-Liste steht.[3]
Echte Erholung ist aber oft das Gegenteil: das bewusste Nichtstun. Momente, in denen du einfach nur aus dem Fenster schaust, den Wolken nachsiehst oder ohne Ziel durch die Straßen schlenderst. Diese Phasen der Leere sind unglaublich wichtig, damit dein Nervensystem sich regenerieren kann. Gib dir im Urlaub gezielt Raum für solche ungeplanten Momente.
Wenn es doch mehr als Leisure Sickness ist
Natürlich ist nicht jede Erkältung im Urlaub gleich Leisure Sickness. Wenn du aber feststellst, dass du permanent erschöpft bist, auch außerhalb der Urlaubszeit ständig krank wirst oder dich psychisch überlastet fühlst, solltest du das ärztlich abklären lassen. Manchmal können hinter den Symptomen auch ein Burnout, Nährstoffmängel oder andere gesundheitliche Probleme stecken. Sei hier gut zu dir und höre auf die Signale deines Körpers – er ist ein ziemlich kluger Ratgeber.
Quellen
- Leisure Sickness: A pilot study on its Prevalence, Phenomenology, and Background (abgerufen am 20.11.2025)
- Stress Krankheiten durch Stress: So sehr kann die Belastung dem Körper schaden (abgerufen am 20.11.2025)
- Neue Kräfte sammeln (abgerufen am 20.11.2025)
FAQs zum Thema Leisure Sickness
Was kann ich tun, wenn es mich im Urlaub schon erwischt hat?
Wenn die Leisure Sickness schon zugeschlagen hat, ist das Wichtigste: Akzeptanz. Ärgere dich nicht über den „verlorenen“ Tag, sondern gib deinem Körper die Ruhe, die er offensichtlich einfordert. Anstatt dein geplantes Programm durchzuziehen, schalte lieber einen Gang zurück. Oft helfen sanfte Aktivitäten wie ein kurzer Spaziergang, leichte Lektüre oder Musik hören mehr als komplettes Nichtstun. Unterstütze dein Immunsystem zusätzlich mit ausreichend Flüssigkeit, gesunder Ernährung und genügend Schlaf, damit du schnell wieder auf die Beine kommst.
Spielt auch die Psyche eine Rolle oder ist das Phänomen rein körperlich?
Die Psyche ist ein entscheidender Faktor. Zwar ist die Reaktion deines Körpers – der Abfall der Stresshormone – rein physiologisch, doch der Auslöser ist oft mental. Wenn du Schwierigkeiten hast, gedanklich von der Arbeit abzuschalten und dir selbst Erholung nicht wirklich erlaubst, bleibst du innerlich angespannt. Dieses Gefühl, eigentlich „leisten“ zu müssen, verhindert, dass du sanft in die Entspannung gleitest und kann die körperlichen Symptome der Leisure Sickness erst provozieren.
Kann ich auch an einem ganz normalen Wochenende von Leisure Sickness betroffen sein?
Ja, absolut! Das Phänomen ist nicht nur auf lange Urlaube beschränkt. Es kann dich immer dann treffen, wenn ein abrupter Wechsel von einer sehr stressigen Phase in eine Ruhephase stattfindet. Eine anstrengende Arbeitswoche, die am Freitagabend plötzlich endet, kann ausreichen, um am Samstag mit Kopfschmerzen oder einer Erkältung aufzuwachen. Der Mechanismus ist genau derselbe wie beim großen Jahresurlaub, nur eben in einem kleineren Zeitfenster.


