Ende Juni, die Sonne brennt auf den Asphalt und die Klimaanlage im Auto läuft auf Hochtouren. Auf dem Weg zum Baumarkt fällt mir auf dem Parkplatz ein Wagen auf, der noch seine dicken Winterpneus trägt. Ein Anblick, der Fragen aufwirft. Ist das reine Bequemlichkeit oder steckt da eine bewusste Entscheidung dahinter? Die Sache mit den Winterreifen im Sommer ist jedenfalls komplizierter, als viele annehmen.
Der Geruch von heißem Asphalt und die falschen Schuhe am Auto
Ich stand neulich vor unserem Familienkombi und habe die Dachbox für den Urlaub montiert. Die Luft flirrte über dem Teer, und es roch nach Sommer. Mein Blick fiel auf die Reifen und ich dachte an die Flip-Flops an meinen Füßen. Perfekt für den Garten, aber für eine Bergwanderung wären sie eine Katastrophe. Ziemlich genau so verhält es sich mit den Reifen am Auto. Sie sind die einzige Verbindung zur Straße, eine Fläche, die kaum größer ist als vier Postkarten. Und auf dieser winzigen Fläche spielen sich bei Hitze Dramen ab, wenn die Gummimischung nicht passt.
Sommerreifen haben eine harte Gummimischung, die auch bei hohen Temperaturen formstabil bleibt. Winterreifen hingegen sind aus einem weicheren Material gefertigt und mit feinen Lamellen durchzogen. Diese spezielle Konstruktion sorgt bei Kälte, Eis und Schnee für den nötigen Halt. Bei 30 Grad im Schatten verwandelt sich diese Stärke jedoch in eine gefährliche Schwäche. Das weiche Gummi wird auf heißem Asphalt noch weicher, fast wie ein Radiergummi, der über raues Papier gezogen wird. Das hat direkte Folgen für die Sicherheit, den Geldbeutel und den Zustand der Reifen selbst.
Was passiert mit Winterreifen im Sommer wirklich?
Die Entscheidung, die Winterpneus draufzulassen, ist keine reine Privatsache. Sie beeinflusst das Fahrverhalten fundamental und kann im Ernstfall über den Ausgang einer kritischen Situation entscheiden. Die Physik lässt sich hier nicht überlisten, egal wie vorsichtig man fährt.
Der Bremsweg verlängert sich dramatisch
Stell dir eine typische Stadt-Situation vor: Du fährst mit 50 km/h, ein Kind läuft zwischen geparkten Autos auf die Straße. Eine Vollbremsung ist unumgänglich. Mit Sommerreifen kommst du gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Mit Winterreifen kann sich der Bremsweg auf trockener, warmer Fahrbahn um mehrere Meter verlängern. Aus 100 km/h können das bis zu 16 Meter Unterschied sein – das sind fast vier Autolängen. Der weiche Reifen walkt stärker, die feinen Lamellen können die Bremskräfte nicht so gut auf die Straße übertragen und das Profil verformt sich unter der Last. Genau diese Meter entscheiden darüber, ob es bei einem Schreckmoment bleibt oder ein Unfall geschieht.
Das Fahrverhalten wird unsicher und schwammig
Ich habe es einmal selbst erlebt, als ich mit einem Leihwagen unterwegs war, der noch Winterreifen montiert hatte. Es war ein warmer Frühlingstag, und ich musste auf der Landstraße einem Hindernis ausweichen. Das Auto fühlte sich an, als würde es auf Eiern fahren. Die Lenkung war indirekt, die Seitenführung in der Kurve gab kaum Rückmeldung. Dieses schwammige Gefühl ist typisch für Winterreifen bei Wärme. Das weiche Gummi gibt zu stark nach, die Profilblöcke verwinden sich. Schnelle Spurwechsel oder plötzliche Ausweichmanöver werden so zu einem echten Risiko, weil das Fahrzeug nicht mehr präzise reagiert. Man verliert das direkte Gefühl für die Straße, was gerade bei höheren Geschwindigkeiten auf der Autobahn extrem unangenehm ist.
Der Verschleiß und der Spritverbrauch steigen
Ein Winterreifen leidet im Sommer. Die weiche Mischung rubbelt sich auf dem heißen Asphalt regelrecht ab. Ein Reifensatz, der sonst für mehrere Winter gehalten hätte, kann innerhalb einer einzigen Sommersaison ruiniert sein. Die Profiltiefe nimmt rapide ab, und was noch schlimmer ist: Die Hitze verändert die chemische Struktur des Gummis. Der Reifen „verglast“, wird also hart und spröde. Für den nächsten Winter ist er dann unbrauchbar, selbst wenn noch genügend Profil vorhanden ist. Gleichzeitig steigt der Rollwiderstand, weil der Reifen sich stärker verformt. Das führt unweigerlich zu einem höheren Kraftstoffverbrauch. Man zahlt also an der Tankstelle und beim Reifenhändler doppelt drauf.
Rechtliches und Versicherungsschutz
In Deutschland gibt es keine explizite Sommerreifenpflicht, aber eine „situative Winterreifenpflicht“. Andersherum ist das Fahren mit Winterreifen im Sommer also nicht per se verboten. Kritisch wird es jedoch im Falle eines Unfalls. Kann ein Gutachter nachweisen, dass der Unfall mit Sommerreifen vermeidbar gewesen wäre, kann die Versicherung die Leistung kürzen oder Regress fordern. Die Begründung: grobe Fahrlässigkeit. Man hat also nicht nur den Schaden, sondern auch noch Ärger mit der Versicherung.
Die gängigsten Ausreden – und was dahintersteckt
Im Gespräch mit Bekannten oder in Online-Foren tauchen immer wieder die gleichen Argumente auf, warum der Reifenwechsel angeblich nicht nötig sei. Diese Mythen halten sich hartnäckig, sind bei genauerer Betrachtung aber schnell widerlegt.
„Ich fahre doch nur in der Stadt“
Gerade in der Stadt passieren die meisten unvorhergesehenen Dinge. Fußgänger, die auf die Straße treten, Radfahrer, die plötzlich abbiegen, oder Autos, die aus Parklücken ausscheren. Hier ist ein kurzer Bremsweg entscheidend. Die gefahrene Geschwindigkeit ist zwar niedriger, aber die Reaktionszeit ist oft kürzer. Der verlängerte Bremsweg von Winterreifen im Sommer macht sich gerade hier fatal bemerkbar.
„Die paar Monate machen doch nichts“
Wie bereits beschrieben: Doch, das tun sie. Ein Winterreifen, der einen Sommer lang durchgefahren wird, ist für seine eigentliche Aufgabe im nächsten Winter oft nicht mehr zu gebrauchen. Die Hitze zerstört die für den Wintergrip so wichtigen Eigenschaften der Gummimischung. Man spart sich also nicht den Wechsel, sondern investiert quasi in einen neuen Satz Winterreifen für die nächste Saison. Ökonomisch und ökologisch ist das wenig sinnvoll.
„Ganzjahresreifen sind doch dasselbe“
Nein, das sind sie nicht. Ganzjahres- oder Allwetterreifen sind ein Kompromiss. Sie versuchen, die Eigenschaften von Sommer- und Winterreifen zu vereinen. Sie sind bei Hitze nicht so gut wie echte Sommerreifen und bei Kälte nicht so sicher wie echte Winterreifen. Dennoch ist ihre Gummimischung so ausgelegt, dass sie einen breiteren Temperaturbereich abdecken können. Ein reiner Winterreifen ist dagegen ein Spezialist, dessen weiche Mischung für sommerliche Temperaturen ungeeignet ist. Wer in einer Region mit gemäßigten Wintern wohnt und wenig fährt, für den kann ein Ganzjahresreifen eine Alternative sein. Er ist aber keinesfalls mit einem im Sommer gefahrenen Winterreifen gleichzusetzen.
Der richtige Zeitpunkt für den Wechsel und die Lagerung
Die Faustregel „von O bis O“, also von Oktober bis Ostern, ist eine gute Orientierung, aber keine starre Vorschrift. Entscheidend ist die durchschnittliche Tagestemperatur. Sobald die Temperaturen dauerhaft über sieben Grad Celsius klettern, ist es Zeit für die Sommerbereifung. Umgekehrt gilt das Gleiche für den Wechsel im Herbst.
Wenn die Sommerräder montiert sind, wollen die Winterräder korrekt gelagert werden. Falsche Lagerung kann die Reifen ebenso beschädigen wie eine Fahrt im Hochsommer. Hier sind ein paar einfache Punkte für die richtige Einlagerung:
- Vor der Demontage die Position der Räder markieren, zum Beispiel mit Kreide (VR für vorne rechts). So können die Räder in der nächsten Saison achsweise getauscht werden, was einen gleichmäßigen Verschleiß fördert.
- Den Luftdruck vor dem Einlagern um etwa 0,5 bar erhöhen. Das hilft, Verformungen zu vermeiden, falls der Reifen über längere Zeit doch etwas Luft verliert.
- Die Reifen und Felgen gründlich reinigen. Bremsstaub und Straßenschmutz können aggressiv sein und das Material angreifen.
- Die Räder an einem kühlen, trockenen und dunklen Ort lagern. Direkte Sonneneinstrahlung und Ozon (zum Beispiel durch Elektromotoren in der Nähe) sind schädlich für das Gummi.
- Kompletträder, also Reifen auf Felgen, sollten liegend übereinandergestapelt oder an speziellen Felgenbäumen aufgehängt werden. Reifen ohne Felgen lagert man stehend und sollte sie alle paar Wochen ein wenig drehen.
Ein Blick auf die Profiltiefe ist vor dem Einlagern ebenfalls ratsam. Die gesetzliche Mindestprofiltiefe beträgt 1,6 Millimeter. Für Winterreifen wird jedoch eine Profiltiefe von mindestens vier Millimetern empfohlen, um eine gute Leistung auf Schnee zu gewährleisten. Liegt man darunter, kann man sich den Reifenwechsel für die nächste Saison direkt sparen und neue Pneus einplanen.
Eine Entscheidung für die Vernunft
Am Ende ist der rechtzeitige Reifenwechsel keine Frage von übertriebener Vorsicht, sondern von physikalischer Notwendigkeit und gesundem Menschenverstand. Es geht darum, die „Schuhe“ des Autos an die Witterung anzupassen, damit sie in jeder Situation den bestmöglichen Halt bieten. Die Kosten und der kleine Aufwand für den Wechsel stehen in keinem Verhältnis zu den Risiken, die man eingeht, wenn man darauf verzichtet.
Als ich an dem Tag vom Baumarkt zurückkam, sah ich den Wagen mit den Winterreifen wieder. Ich hoffe, der Fahrer macht sich bald auf den Weg zur Werkstatt. Nicht nur für seine eigene Sicherheit, sondern für die aller anderen auf der Straße auch. Denn die nächste Hitzewelle kommt bestimmt, und dann zählt jeder Meter Bremsweg.
FAQs zum Thema Winterreifen im Sommer
Sind Winterreifen im Sommer eigentlich lauter?
Ja, in der Regel sind sie deutlich lauter. Die weichere Gummimischung und die vielen feinen Lamellen im Profil, die im Winter für den nötigen Grip auf Schnee sorgen, erzeugen auf warmem und trockenem Asphalt stärkere Vibrationen und damit ein lauteres Abrollgeräusch. Dieses Brummen kann vor allem auf längeren Strecken als störend und ermüdend empfunden werden.
Wie sieht es mit der Aquaplaning-Gefahr bei starkem Regen aus?
Das Risiko für Aquaplaning ist mit Winterreifen im Sommer bei Nässe tendenziell höher. Sommerreifen sind mit breiten, tiefen Längsrillen ausgestattet, um große Mengen Wasser schnell und effektiv abzuleiten. Das feine Lamellenprofil von Winterreifen ist für den Grip auf Schnee optimiert und kann Wasser nicht so gut verdrängen. Dadurch schwimmt der Reifen bei starkem Regen schneller auf und du verlierst die Kontrolle über dein Fahrzeug.
Beeinflussen die falschen Reifen auch Assistenzsysteme wie ABS oder ESP?
Ja, absolut. Systeme wie das Antiblockiersystem (ABS) oder das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) sind auf die Haftungswerte passender Reifen kalibriert. Da ein Winterreifen im Sommer viel weniger Grip aufbaut und sich „schwammiger“ verhält, kann es sein, dass die Systeme zu früh, zu spät oder nicht im optimalen Bereich regeln. Das Sicherheitsnetz deines Autos ist also nicht mehr so zuverlässig, wie du es gewohnt bist.